Quelle: "Sagen vom Selketal"; Ilse Korf und Edgar Giegold; Herausgeber: Staatlies Museum Falkenstein,

Sagen aus dem Harz

Der Brunnen der Burg Anhalt

Auf dem Brunnengrund der Burg Anhalt liegt seit längst vergangenen Zeiten ein geheimnisvoller Schatz, der von Berggeistern bewacht wird. Wer in den Brunnenschacht hinabsteigt, um ihn zu bergen, begibt sich in Todesgefahr oder muß als Verfluchter umherirren. Nur unschuldige Kinder, so erzählt die Sage, rühren die Berggeister nicht an, ihnen gegenüber zeigen sie sich als warnende Freunde. Vor vielen Jahren schlich ein reicher Grubenbesitzer in mondheller Nacht auf den Burgberg zu dem Brunnen. Seine Gedanken kreisten unentwegt um den Schatz, den er ohne sein Leben einzubüßen, besitzen wollte. Da blitzte der Entschluß in ihm auf, seinen noch kindlichen Bruder für dieses Abenteuer zu gebrauchen. Er riß ihn eines Nachts aus dem Schlaf, führte ihn zur Burgruine Anhalt und band ihm einen Strick um den Leib. ,,Steig in den Brunnen hinab," befahl er ihm, »fülle mir diesen Sack mit Goldklumpen, die Du dort unten findest, und rufe mich, damit ich Dich wieder hochziehen kann!" Darauf seilte er seinen Bruder in den Brunnen ab, bis sich der Strick lockerte, und er dumpfe und klirrende Geräusche aus der Tiefe vernahm. Ein fürchterlicher Schrei schreckte ihn aus seinen Schatzträumen. Mit zitternden Händen griff er das Seil und zog die schwere Last nach oben. Schon hob er den Bruder über den Brunnenrand und wollte nach der Beute langen, da entdeckte er entsetzt den leeren Ledersack auf dem toten Körper des Kindes. Mit einem Fluch stieß er den Leichnam in den Brunnen zurück, aus dem unter Donnerdröhnen eine Flamme aufloderte, in der das Kind verbrannte und als weiße Wolkengestalt entschwebte. In panischer Angst floh der Schatzgierige und irrte ruhelos durch die Lande. Nach seinem Tode spukte er weiter in den Anhaltruinen herum.

 

Der Bergmönch im Harz

Zwei Bergleute, die oft miteinander in der Schicht arbeiteten, waren eines Tages in den Schacht eingefahren und hatten vergessen, das Öl in ihren Lampen nachzufüllen. Die Gefahr, im dunklen Schacht zu verunglücken, machte ihnen Angst, aber ihren geringen Lohn wollten sie nicht einbüßen. So standen sie unschlüssig und berieten, wie sie sich aus ihrer mißlichen Lage befreien könnten, als sie fern in der Strecke ein Licht aufleuchten sahen. Das Grauen packte sie, als ihnen ein Riese im Mönchskittel mit einer Kappe auf dem Kopf entgegenkroch, der ein mächtiges Grubenlicht in seiner Hand trug. "Fürchtet Euch nicht" sprach er, "Ich will Euch helfen." Er nahm ihr Geleucht und goß Öl von seiner Lampe darauf. Dann griff er nach ihren Keilhacken, wuchtete damit los und schaffte die Arbeit, die sie in einer Woche kaum bewältigt hätten, in einer Stunde. "Sagt niemandem, daß Ihr mich gesehen habt," befahl er und schlug mit der Faust gegen eine Felswand. Dröhnend öffnete sie sich: Gold und Silber blendete die Bergleute, daß sie sich abwandten. Als sie wieder hinschauten, war der Berggeist verschwunden und der Gang mit dem Reichtum auch, weil sie versäumt hatten, ihre Keilhacken oder irgendeinen anderen Teil ihres Gezähes hineinzuwerfen. Übrig geblieben war nur das Öl auf ihren Lampen, das stets von selber nachfloß.

Als die beiden Bergleute nach Jahren im Wirtshaus zechten, vergaßen sie das Schweigegebot und schwatzten ihr Erlebnis mit dem Berggeist aus. Seitdem leerte sich das Öl in ihrem Geleucht, und sie mußten es jedes Mal neu nachgießen.

 

Graf Viktor und der Schweinehirt vom Brunnen

In einem Harzdorf lebte der Schweinehirt Philipp. Wenn er zwanzig Taler gespart hatte, wollte er seine Braut Liese heiraten. Liese besaß ein bedrucktes Kleid, einen Kattunmantel und ein Bett. Die Muhme wollte ihr eine Käste und zwei neue Hemden zur Hochzeit schenken. Auch hatte sie vom Vetter selig noch ein Hemd für Philipp bereitgelegt, dazu einen schönen Flicken zum Ausbessern der durchgescheuerten Stellen. Philipp schielte zwar ein wenig, aber er war ein gutmütiger Bursche. Auch konnte er, obwohl der eine Fuß kürzer war als der andere, seine Tanzbeine in der Schänke schwingen wie kein anderer, daß ihm die Harzleute mit Vergnügen zuschauten. Auch Graf oder Fürst Victor, der auf der Heinrichs- oder Erichsburg wohnte, hatte eine Braut. Liese, des Schweinehirten Liebste, war die Milchschwester des Edelfräuleins und trug die Liebesbriefe der beiden gegen ein Schweigegeld des Grafen hin und her. Weil Liese niemanden davon erzählte, wurde der Schweinehirt eifersüchtig und lauerte dem Grafen eines Tages zwischen Viktorshöhe und Thale auf, versperrte ihm den Weg und forderte ihn auf, seiner Liese nicht mehr nachzustellen. Der Graf lachte von Herzen. Als der Schweinehirt ihm nicht aus dem Wege wich, gab er seinem Pferd die Sporen und ritt über ihn hinweg. Diese Begebenheit erzählte der Graf zuhause seinem Diener, der sogleich in den Wald lief und sah, wie der Hirt sich aufgerafft hatte und forthinkte. Er log aber den Grafen an, Philipp sei tot, er habe ihn im Wald vergraben. Der Graf bereute seine Tat und schrieb seiner Braut einen Abschiedsbrief. An Liese schickte er heimlich zwanzig Taler Schmerzensgeld für den totgeglaubten Bräutigam. Sie freute sich über das Geld, eilte zu Philipp und beschwatzte ihn, davon die Hochzeit auszurichten. Als der Graf einmal im Wald spazieren ging, glaubte er eine Spukgestalt zu sehen: Da stand der Hirt am Waldrand mit seiner Schweineherde, drohte ihm mit der Faust und verschwand rückwärts gehend langsam im Gebüsch. Bald darauf feierten Liese und Philipp Hochzeit. Nach der Kirchfeier schlich das Edelfräulein zu der Waldstelle, wo sie sich oft mit dem Grafen traf. Überrascht sah sie ihn dort sitzen. Er gestand ihr schließlich sein Verbrechen und wollte Buße tun. Da führte sie ihn zum Hochzeitshaus, und durch das Fenster erblickte er den "Ermordeten" mit Beulen und blauen Flecken im Gesicht beim fröhlichen Zechen. Graf Viktor und das Edelfräulein lachten vergnügt, und kurze Zeit darauf feierten auch sie auf dem Schloß ihre Hochzeit.

 

Der Müller vom Selketal und der Teufel

Es war einmal ein Müller, der besaß im Wiesental der Selke unterhalb des Ramberges eine Mühle. Sie ernährte ihn und seine Familie nur kümmerlich. Als die Mühle wieder wochenlang stillstand, wünschte der Müller sie in seiner Not zum Teufel. Sogleich war dieser zur Stelle: "Verschreibe mir Deine Seele", raunte er ihm zu, "und ich baue Dir bis zum ersten Hahnenschrei eine schöne Windmühle auf dem Ramberg." Der Müller zauderte erst, aber schließlich willigte er ein und unterschrieb den Vertrag mit seinem Blut. Der Teufel hielt Wort und richtete auf den Bergeshöhen sein Bauwerk auf. Nun stand die Windmühle fertig auf dem Ramberg, nur der große Mahlstein mußte noch eingesetzt werden. Es dämmert schon in der Ferne, da ergriff der Müller, von Angst und Grauen gepackt, den Mahlstein und rollte ihn den Berghang hinab. Der Teufel sprang in großen Sätzen hinterher, um den Stein zurückzuholen. Schon hatte er ihn erfaßt, da krähte der erste Hahn. Zorneswütig schleuderte er den Mahlstein auf die neue Mühle, die mit Krachen zusammenbrach. Der Müller war von dem Teufelsvertrag frei.

 

Nach anderer Überlieferung riß der Teufel in rasender Wut die Mühle nieder, schleuderte die zum Bau verwendeten Felsbrocken nach allen Seiten auf dem Berg umher und begrub den Müller unter ihnen.

 

Mägdesprung I

"Und wird hierächst erzehlet, daß in den alten Zeiten eine gewisse Junge Weibes-Person oder Magd ... an dieser Stelle stehende ihren Liebhaber, so ein Junger Schäfer soll gewesen sein, an der ändern Seite erblicket, und weil so wohl die Gähigkeit des Felsen, als die darzwischen laufende Seicke, beiden Verliebten den Zutritt zueinander fast unmöglich gemachet, so habe sie sich dieser Gefährlichkeit unternommen, und sei von gedachtem Stücke des Felsen über das Thal und Seicke weg zu ihm hinüber gesprungen, der Antritt sei auch so heftig gewesen, daß davon annoch die Zeichen der Fußtapfen in dem Felsen übrig geblieben; wie man dann auf der anderen Seite sich eben dergleichen Zeichen einbildet, auch dem Ohrte selbst daher der Nähme Mägdesprung gegeben sein soll."

 

Aus Beckmann, Historia des Fürstenthums Anhalt, Zerbst 1728

 

Mägdesprung II

Eine Riesenmaid kam eines Tages vom Petersberg bei Halle in den Harz. Als sie die Felsen erreicht hatte, die über dem jetzigen Hüttenwerk stehen, erblickte sie ihre Gespielin, die ihr von der Ramberghöhe zuwinkte. Lange stand sie zaudernd, denn das breite Selketal trennte sie vom Bergrücken des Ramberges. Ein Bauer, der in der Nähe das Feld pflügte, bemerkte ihr Zögern und verlachte sie. Da streckte die Hünin ihre Hand aus, hob den Bauern, den Pflug und die Pferde in ihr großes Gewand und sprang damit über das Tal hinweg zu ihrer Gespielin. Durch den Absprung hatte sich eine tiefe Fußtapfe in den Felsen gedrückt, wovon heute noch Spuren zu sehen sind. Der unterhalb des Felsens gegründete Ort erhielt den Namen Mägdesprung.

 

Mägdesprung III

Auf den Berghöhen beiderseits der Selke zwischen Ballenstedt und Harzgerode standen in vergangenen Zeiten zwei mächtige Burgen, in denen Riesen hausten: der Ritter Luitpold und ein alter Harzkönig. Luitpold und die Prinzessin Amala liebten einander, aber ihr Vater, der Harzkönig, hatte ihr einen Isländer zum Gemahl bestimmt, den er von einem Kriegszug auf seine Burg gebracht hatte. Bis weit in die Nacht hinein wetteten die beiden beim Würfelspiel, und nach und nach hatte der König seine Schätze und zuletzt Krone und Reich an den Isländer verloren. Dieser blieb in bescheidenen Diensten und hielt beharrlich um die Hand der schönen Amala an. Sie indessen wies den Freier ab und flehte ihren Vater an, Luitpold heiraten zu dürfen. Der König verweigerte ihr diesen Wunsch, weil er befürchtete, sein verspieltes Land an den Isländer abtreten zu müssen. Eines Tages verbreitete sich die Kunde, Feinde verwüsteten sein Land, deshalb zog der Isländer mit einem großen Heeresaufgebot über das Meer. Der König versprach ihm, nach seiner Rückkehr eine prunkvolle Hochzeit auszurichten. Kaum hatte der Isländer die Burg verlassen, trat Luitpold vor den König, um die Zustimmung für die Hochzeit mit Amala einzuholen. "Du bist ein Fremdling wie er," entgegnete der König, "und so wenig die Prinzessin von hier über das Tal springen kann, so wenig kann ich mein Wort gegenüber dem Isländer brechen!" Kurze Zeit darauf zog auch Luitpold in den Krieg. Jahre verstrichen, und Amala wartete noch immer auf Luitpold. Eines Morgens erblickte sie Luitpold, der in seine Burg zurückgekehrt war. "Komm zu mir Amala!" rief er ihr zu. Da vergaß sie alle Gefahr und setze mit einem gewaltigen Sprung über das Tal hinweg in die Arme ihres Geliebten. Tief grub sich beim Aufprall ihre Fußspur in den Felsen ein. Der alte König kochte vor Zorneswut und schwor den beiden Tod und Verderben. Erst als der Isländer nach vielen Jahren nicht mehr heimkehrte, söhnte er sich mit ihnen aus und willigte in die Heirat ein, und Luitpold wurde Herrscher über das Harzland.

 

Der Schatz im Brunnen der Burg Anhalt

In der Umgebung der Burg Anhalt blühte am Ende des 16. Jahrhunderts der Bergbau. Eine alte Mär zog die armen Bergleute immer wieder in ihren Bann: "Auf dem Anhalt im tiefen Brunnen der Burg liegen große Reichtümer. Ein Fürst von Anhalt hat sie dort versenkt, ehe er aus der vom Feinde belagerten Burg durch einen verborgenen Gang entwich. Zepter und Krone, fürstliches Geschmeide und kostbares Gerät ruhen dort unten, dazu ein Kessel gemünztes Gold und Silber. Wer nur den zehnten Teil davon bekomme, der habe sein Lebtag genug und könne selber den Burgherrn spielen statt ihm zu frönen."

Eines Nachts zogen mehrere Bergknappen mit ihrem Arbeitsgerät zur Burgruine, um den Schatz zu heben. Sie versprachen, beieinander auszuharren, sich gegenseitig zu helfen und keinen Laut miteinander zu sprechen, damit ihnen der Schatz nicht verloren gehe.

Am Brunnen stellten sie eine Haspel auf und ließen einen wagemutigen Knappen mit Pickel und Grubenlicht in den Schacht hinab. In der Finsternis wollte ihm vor Angst das Herz zerspringen; als er jedoch den Kessel auf dem Brunnengrund sah, brach er das Schweigen und jubelte auf. Im gleichen Augenblick sank der Kessel tiefer hinab und löste sich in Teufelsspuk auf. Von Grauen gepackt, gab er das Zeichen zu Aufseilen und berichtete den anderen Bergknappen, was geschehen war. Seine Angst übertrug sich, sie ließen alle ihr Arbeitsgerät im Stich und rannten, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her.

Auf der wüsten Dorfstätte Anhalt gibt es eine Pfannenwiese, unter der eine Pfanne puren Goldes verborgen liegen soll. Auch hier scheiterten die Versuche den Schatz zu heben.

 

Der Schlangenkönig

Die Grafen von Falkenstein wollten dem Schlangenkönig, der unter einer Wispel hauste, die Krone stehlen. Dafür ließen sie ein Rind schlachten, sattelten die Pferde und nahmen das Fleisch mit. Unter dem Wispelbusch breiteten sie ein schwarzseidenes Tuch aus. Der Schlangenkönig kroch heran und legte seine Krone darauf ab. Die Grafen von Falkenstein ergriffen sie und ritten mit ihr davon. Auf einen Pfiff des Schlangenkönigs sammelten sich die Schlangen aus allen Erdlöchern und setzten den Fliehenden nach. Die Falkensteiner ließen, um die Schlangen aufzuhalten, Stück um Stück von dem Fleischbatzen fallen, gelangten über die Selke und wurden schließlich von ihnen eingeholt. Darauf drangen die Schlangen von allen Seiten über die Mauern des Falkensteins und vertrieben die Burgherren.

Erst dem Oberjägermeister Graf von der Asseburg gelang es, die Schlangen zu verscheuchen und die Burg wieder bewohnbar zu machen.

 

Die drei Schicksalsbecher

Helene von der Asseburg wurde eines Nachts von einem Männlein geweckt, das sie bat, mit ihm zu kommen, um seiner Frau zu helfen. Der Berggeist führte sie durch unterirdische Gänge in einen Raum, wo seine Frau in den Wehen lag. Als das Kind geboren war, schenkte er der Helferin drei goldene Kugeln und drei Becher aus Kristall. ,,Bewahre diese Gaben wohl", sprach er »denn das Schicksal Deines Hauses ist an sie geknüpft!" Die Burgfrau gelangte wieder zurück in ihre Gemächer und hütete den Schatz so sorgsam sie konnte. Jahrhunderte waren vergangen. Die Kugeln gingen inzwischen verloren, aber die Becher verwahrte eine Frau von der Asseburg auf ihrem Gut in Wallhausen. An ihrer Geburtstagsfeier - sie soll am 9. August 1696 gewesen sein - nahmen auch ihre beiden Söhne und deren Freund, der Junker von Werther auf Brücken teil. Beim fröhlichen Mahl fragten sie nach den sagenhaften Pokalen, die die Ahnin von den Zwergen bekommen habe, und sie verlangten daraus zu trinken. Doch sie stießen so kräftig miteinander an, daß der eine Becher zerbrach. Bestürzt reisten die Söhne mit ihrem Freund wieder ab. Auf dem Heimweg rissen die wildgewordenen Pferde den Wagen um und beide Brüder verunglückten tödlich.

 

Die drei Schicksalsbecher II

Am Falkenstein sind manchmal Zwerge gesehen worden, die guten Menschen in ihren Nöten beistanden. Sie wohnten in der Tidianshöhle, wo Goldsand gefunden wurde. Eine Burgfrau auf Falkenstein rief eines Nachts bei schwerer Krankheit die Zwerge um Hilfe an. Sie erschienen um Mitternacht, bannten die Krankheit und beschenkten die Burgfrau darüber hinaus mit drei goldenen Kugeln und drei altertümlichen Kristallbechern. Diese wertvollen Geschenke wurden von der Familie Asseburg in Ehren gehalten.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts feierten zwei Junker von der Asseburg auf Burg Falkenstein den Geburtstag ihrer Mutter und benutzten die drei Becher. Beim käftigen Anstoßen zerbrach einer. Noch am selben Tag unternahmen die Junker eine Spazierfahrt, gerieten mit dem Pferdewagen in den Fluß und ertranken. Das war die Rache der erzürnten Zwerge, die die Junker zu sich herabzogen. Seitdem waren sie auf Burg Falkenstein nicht mehr gesehen.

 

Die eiserne Jungfrau auf Falkenstein

Die frühere Bestimmung der Keller unter dem Palas ist unverkennbar, man findet in ihnen sogar ein sargähnliches, nur sechs Fuß langes Gemach und gegenüber einen langen und schmalen, an der Wand aufgemauerten Kasten, der gleich einem Schornsteine das unterirdische Gewölbe mit einer oberen Halle in Verbindung setzt und gerade weit genug ist, um einen menschlichen Körper durchzulassen. Nach mündlicher Überlieferung habe über dieser geheimnisvollen Passage auf einer Falltür eine spanische Jungfrau gestanden, eine jener von barbarischer Phantasie erfundenen Mordmaschinen, die in vielen alten Schlössern angetroffen wurden und blutgieriger Tyrannei, boshafter Eifersucht oder lichtscheuer Rachbegier dienstbar waren. Dem Höfling, der sich vergangen, diktierte man gnädigst die lindscheinende Strafe, die Jungfrau zu küssen. Näherteersich jedoch dem hölzernen Frauenbilde zu dem schwach erleuchteten Gemache, so setzte sein eigener Fußtritt geheime Federn und Räder in Bewegung, die ausgebreiteten Arme der gespenstischen Buhlin drückten sich um ihn und durchschnitten mit versteckten Klingen seine Weichen, und zahllose Dolchspitzen, die aus ihrem Busen hervorstanden, zerfleischten seine Brust; dann lösten sich die Arme der Maschine wieder, vor ihr sank eine Falltür nieder und das an unzählbaren Todeswunden verblutende Opfer stürzte, begleitet vom Hohngelächter verborgener Henker in ein Verließ hinunter, wohinein nimmer ein Menschenauge drang und seinem letzten Kampfe tröstend zur Seite stand; doch endete er sicherlich, als der Jammermann, den man in dem erstbeschriebenen Steinsarg lebendig begrub, den menschliche Unbarmherzigkeit zu einem langsamen und qualvollen Tode in eine Nacht verstieß, und seine Qualen mit grausamster Bedachtsamkeit durch die oben in der Zelle angebrachten Luftlöcher zu verlängern suchte."

Aus Wilhelm Blumenhagen: Wanderung durch den Harz, Leipzig, 1838

 

Sagenhaftes um Burg Falkenstein

Auf Burg Falkenstein hing das Gemälde einer Edelfrau, die, sooft ihrer Familie ein Todesfall bevorstand, aus ihrem Rahmen trat und die alte Burg lautlos durchwandelte.

Ein Graf von Falkenstein schickte seinen Falken nach dem Arnstein, um die Tochter eines Raubritters zu retten, die jener in den Turm gesperrt hatte.

 

Der Stein bei Ballenstedt

Nicht weit vom Forsthaus Kohlenschacht liegt ein Stein im Wald, um den sich folgende Geschichte rankt:

Eine leichtsinnige Jungfrau wanderte eines Tages in die nahegelegene Stadt, um sich ein paar Schuhe zu kaufen. Bei der Rückkehr in ihr Dorf hatte sie die neuen Schuhe angezogen und trug ein Weißbrot, das sie für die Wirtin mitbringen sollte, unter ihrem Arm. Um den Heimweg abzukürzen, schlug sie einen schmalen Waldpfad ein und Stand plötzlich vor einer Sumpfstelle.

Weil sie ihre Schuhe nicht beschmutzen wollte, schritt sie barfuß hindurch. Auf der anderen Seite suchte sie vergebens nach einem Stein, auf dem sie wieder in ihre blanken Schuhe schlüpfen konnte. Da warf sie in ihrer Einfalt das Weißbrot auf die Erde und setzte ihren Fuß darauf. Im gleichen Augenblick krachte ein Donnerschlag, der sie zu Stein erstarren ließ.

 

Die Wunderblume im Selketal

In einer ärmlichen Holzhütte im Selketal lebte ein Mann mit seiner schönen Tochter Maria. Eines Morgens ritt der verwegene Graf Bodo von Falkenstein durch die Wälder und überraschte Maria beim Beerenpflücken. Da sie sein Liebeswerben abwies und vor ihm in die Behausung floh, beschloß er, sie gewaltsam auf seine Burg zu entführen. Am nächsten Tag erschien er unvermutet in der Hütte und bedrängteden alten Mann mit Vorwürfen: "Du hast Deine Steuern nicht gezahlt, morgen ist Deine Frist abgelaufen, dann komme ich und hole mir das Geld oder Deine Tochter, damit sie mir auf dem Falkenstein diene!" Darauf lachte er höhnisch und sprengte mit seinem Pferd davon. Der ratlose Vater stand, als hätte ihn der Blitz getroffen. Am gleichen Abend ging Maria über eine blühende Wiese, setzte sich erschöpft in der Nähe eines Quellwassers nieder und weinte.

Ihre Tränen fielen auf eine große Blume, die in prächtigen Farben zu funkeln begann. Sie streckte ihre Hand nach der Wunderblume aus, berührte sie vorsichtig und pflückte sie unwillkürlich ab. Darauf spürte sie ein Ziehen und Zerren in ihren Gliedern, und sie folgte der Richtung, die ihr gewiesen wurde. Augenblicklich stand sie vor einer Felsöffnung und spähte hinein.

Ihre Augen leuchteten auf, als sie in eine mit Goldkörnchen übersäte Höhle trat. Beherzt füllte sie ihr Tuch mit Goldsand, knüpfte es zusammen und verließ die Höhle, die sich lautlos hinter ihr schloß. Am anderen Tag kam der Graf. Als Maria ihm das Gold reichen wollte, riß er sie mit rohem Griff in seine Arme, um mit ihr auf seinem Pferd davonzureiten. Da hielt sie ihm die Wunderblume entgegen. Eine heftige Stichflamme aus ihrem Kelch blendete ihn und brach sein Augenlicht. Das Pferd brachte ihn blind zur Burg zurück; am Zaumzeug hing ein Körbchen mit Goldsand.

 

 

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