Aus: (Chamonix - Mont-Blanc; Yvette Goepfert; Editions Aio)

Saussures Aufstieg

Die schwer beladene Karawane verläßt Chamonix am 1. August. Achtzehn Führer unter ihnen Jacques Balmat - tragen die wissenschaftliche Ausrüstung. Außer der Verpflegung nimmt Saussure einige persönliche Gegenstände mit, als da sind: ein Sonnenschirm, ein Zelt, ein Klappbett mit Matratze, Bettücher, Decken; zwei Überröcke, drei Jacken, drei Westen, sechs Hemden, ein weißer und ein Reiseanzug, Stiefel, Gamaschen, ein Paar Schuhe mit großen und zwei Paar mit kleinen Spitzen, zwei Paar gewöhnliche Schuhe und sogar Pantoffel! Der Mann liebt seine Bequemlichkeit!

Nach drei mühseligen Tagen erreicht die erste wissenschaftliche Besteigung, die allen anderen zum Vorbild wird, ihr Ziel.

Saussure hat als erster die Gesetze, denen die Gletscher gehorchen, verstanden. Er hat verschiedene Meßapparate, u.a. ein Haarhygrometer, entwickelt. Die zahlreichen Berichte und Beobachtungen, in denen er die Techniken der Pioniere des Alpinismus beschreibt, sind zu seiner Zeit weit verbreitet und für uns wertvolle Zeugnisse.

1808 -1838: Weibliche Premieren

Der Aufstieg von Marie Paradis war mühselig... Die Bergführer hatten sie überredet: «Du bist ein mutiges Mädchen und mußt dir etwas verdienen, komm mit uns, wenn dich dann die Auswärtigen sehen, geben sie dir ein Geschenk...» Und so kommt die Arme geschoben, getragen, gezogen halbtot auf dem Gipfel an.

Dreißig Jahre später ist Henriette d'Angeville an der Reihe. Die furchtlose junge Frau bereitet sich sorgfältig auf ihre Expedition vor. Die Bergführer bewundern ihren Aufstieg und nennen sie «die Braut des Mont Blanc».

Lange Zeit geht die Attraktion des Mont Blanc auf Kosten der Nachbargipfel. Aber Whymper zeichnet sich schon 1860 durch eine umfassende Liste von Besteigungen aus: Aiguille d'Argentiere, Tre-la-Tete, Mont Dolent, Verte, einer der Gipfel der Grandes Jorasses und schließlich das Matterhorn. Einige Jahre später führt Mummery einen neuen Stil ein: den akrobatischen Alpinismus.

 

Die Menschen...

Chamonix verdankt seinen erstaunlichen Aufstieg dem Enthusiasmus einiger Männer.

1741: Windham und Pocock

In diesem Jahr geben zwei Engländer - ohne es zu wissen - das Signal für die völlige Verwandlung eines bescheidenen Dörfchens. Der erste ist Richard Pocock, ein berühmter Forscher und Verfasser bekannter Reiseberichte aus Ägypten, Arabien, Asien und der Türkei. Der zweite, Windham, ist 24 Jahre alt und bereitet sich auf die Militärlaufbahn vor. Mit einigen Freunden haben unsere beiden Engländer vor, jene fernen Gipfel, die man von Genf aus sieht, zu besichtigen. Zu dieser Zeit stand das Tal allerdings in einem ziemlich schlechten Ruf, und die unerreichbaren und wilden Berge sind verwunschen. So verlassen unsere Gletscherliebhaber gut ausgerüstet Genf. Am dritten Tage kommen sie in «einem angenehmen Tal» an, wo «ein freundlicher Greis, der Prior des Ortes,» sie überaus höflich empfängt, aber ihnen davon abrät, höher zu steigen. Natürlich ließen sich unsere Forscher davon nicht abhalten und organisieren die erste «Expedition» auf den Montenvers.

Die Einwohner des Priorats lassen sich nicht träumen, welche Auswirkungen diese Premiere haben wird, sie haben andere Sorgen... gerade ist ganz Savoyen von den Spaniern eingenommen worden. Aber alles geht ganz schnell, und schon sind die «Gletscher von Savoyen» das Gesprächsthema in den Genfer Salons.

1760: Horace-Benedict de Saussure

Einige Jahre später zieht ein junger Genfer Naturforscher allein und zu Fuß los und besichtigt die Gletscher von «Chamouni». Er ist zwanzig Jahre alt. Eben angekommen begibt er sich auf den Montenvers und dann auf den Gipfel des Brevent, von wo er den Mont Blanc in Ruhe bewundern und beobachten kann. Sogleich versteht er die wissenschaftliche Bedeutung dieses Gipfels, der alle anderen überragt, und verspricht demjenigen, der den Zugang entdeckt, eine hohe Belohnung... 26 Jahre verstreichen mit erfolglosen Versuchen...

8. August 1786: Paccard und Balmat

Michel-Gabriel Paccard ist in Chamonix geboren. Erfindet einen ausgeprägten Geschmack an Naturwissenschaften und durchstreift bald das Gebirge. Nach seiner medizinischen Ausbildung läßt er sich als erster Doktor in der Gegend nieder. Er behandelt übrigens die Frau und die Tochter von Jacques Balmat, dessen Schwester er zehn Jahre nach dem berühmten Aufstieg heiratet.

Jacques Balmat, Kristallschleifer von Beruf, hat eine Art sechsten Sinn für das Gebirge. Er ist zurückhaltend, verschlossen und wenig beliebt bei den Bergführern, die in ihm einen Gegner sehen.

Paccard und Balmat kennen sich gut und ergänzen sich. Derselbe Wille zum Sieg treibt sie dazu an, den Zugang zum Mont Blanc zu finden. Am Nachmittag des 7. August ziehen sie los und verbringen die Nacht oben auf dem Montagne de la Cöte, von wo es um 4 Uhr morgens weiter geht. Jede ihrer Bewegungen wird von Chamonix aus mit dem Fernrohr verfolgt, und am 8. August 1786 um 18h23 gelangen die beiden Männer gleichzeitig zum Gipfel. Alle Tore öffnen sich...

Wegen des schlechten Wetters muß der arme Saussure ein Jahr lang warten, bevor er seinerseits den höchsten Punkt der Alpen erreicht.

 

Ein bißchen Geschichte

Wegen seiner strategischen Position als «Tor zu den Alpen» erweckt Savoyen mancherlei Gelüste, und es kommt zu einer Reihe von Besatzungen und Verträgen.

Nachdem Savoyen im 16. Jahrhundert von der französischen Vorherrschaft befreit wurde, verlegt Herzog Emmanuel-Philibert seine Hauptstadt von Chambery nach Turin: der Vertrag von Lyon setzt 1602 die in etwa endgültigen Grenzen fest.

Mit dem Vertrag von Utrecht 1713 gelangen Savoyen und das Königreich Sizilien in den Besitz von Viktor Amadeus. Fünf Jahre später tauscht er seinen Titel als König von Sizilien gegen den eines Königs von Sardinien ein, und die Provinz wird sardisch.

1742 gerät sie unter spanischen Einfluß, um 1742 im Aachener Vertrag an Karl Emmanuel III. zurückzukommen.

1792 wird sie von den Revolutionstruppen des Generals Montesquieu besetzt und schließlich auf Wunsch der Bewohner an Frankreich angeschlossen.

Dann ersetzt das Directoire den Nationalkonvent, und Bonaparte schlägt die sardische Armee: im Pariser Vertrag von 1796 muß Viktor Emmanuel III. auf Savoyen verzichten, das in zwei Departements aufgeteilt wird: Mont-Blanc und die Gegend um Genf. Leider erhält Viktor Emmanuel nach dem Sturz Napoleons sein Königreich Sardinien mitsamt Savoyen zurück (Pariser Verträge von 1814 und 1815).

Schließlich einigen sich Napoleon III. und Cavour 1858 dahingehend, daß Italien - im Austausch fürdie französische Hilfe, sich von der österreichischen Besatzung zu befreien -Savoyen und Nizza an Frankreich abtritt, falls die jeweiligen Bevölkerungen zustimmen. Am 4. April 1860 bekräftigen die Savoyer ihren Wunsch, Franzosen zu werden mit einer erdrückenden Mehrheit: 130.533 «ja» gegen 235 «nein». Die Provinz wird in die Departements Savoyen und Obersavoyen eingeteilt.